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Michael Henn
Dr. Gaupp & Coll. Rechtsanwälte
Gerokstrasse 8
70188 Stuttgart


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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart




I.
Pfändbares Arbeitseinkommen iSv. § 850 Abs. 2 ZPO - Entgeltumwandlung nach Pfändungs- und Überweisungsbeschluss
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14. Oktober 2021, Az. 8 AZR 96/20

Die Parteien streiten darüber, ob die monatlich von der Beklagten aufgrund einer mit der Streitverkündeten vereinbarten Entgeltumwandlung zu zahlende Versicherungsprämie in eine von der Beklagten zugunsten der Streitverkündeten abgeschlossene Lebensversicherung (Direktversicherung) zum pfändbaren Einkommen der Streitverkündeten iSv. § 850 Abs. 2 ZPO gehören.

Der Kläger ist der geschiedene Ehemann der Streitverkündeten. Die Beklagte ist deren Arbeitgeberin. Im Rahmen der Scheidung des Klägers und der Streitverkündeten war es zu einer Vereinbarung über die Aufteilung von Schulden aus einem laufenden Bauprozess gekommen. In diesem Zusammenhang wurde die Streitverkündete im Wege eines familiengerichtlichen Versäumnisbeschlusses zur Zahlung von 22.679,60 Euro nebst Zinsen an den Kläger verpflichtet. Aufgrund dieses Versäumnisbeschlusses erwirkte der Kläger einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss über das gegenwärtige und zukünftige Arbeitseinkommen der Streitverkündeten. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wurde der Beklagten im November 2015 zugestellt. Im Mai 2016 schlossen die Streitverkündete und die Beklagte eine Entgeltumwandlungsvereinbarung. Diese hatte eine betriebliche Altersversorgung im Wege einer Direktversicherung zum Gegenstand. Nach dem Versicherungsvertrag ist Versicherungsnehmerin die Beklagte, Begünstigte ist die Streitverkündete. Der von der Beklagten monatlich in die Direktversicherung einzuzahlende Beitrag beträgt 248,00 Euro. In der Folgezeit leistete die Beklagte aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses Zahlungen an den Kläger, wobei sie bei der Ermittlung des pfändbaren Einkommens der Streitverkündeten den monatlichen Versicherungsbeitrag iHv. 248,00 Euro unberücksichtigt ließ.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger von der Beklagten höhere Zahlungen. Er hat die Auffassung vertreten, dass die Entgeltumwandlung das pfändbare Einkommen der Streitverkündeten nicht reduziere. Diese habe mit der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses die Verwertungszuständigkeit über ihre Forderung verloren. Im Übrigen gelte der Rechtsgedanke des § 850h ZPO.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr teilweise stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage.

Die Revision der Beklagten war vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolgreich.

Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien, dass der Arbeitgeber für den/die Arbeit-nehmer/in eine Direktversicherung abschließt und ein Teil der künftigen Entgeltansprüche des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin durch Entgeltumwandlung für seine/ihre betriebliche Altersversorgung verwendet werden, liegt insoweit grundsätzlich kein pfändbares Einkommen iSv. § 850 Abs. 2 ZPO mehr vor. Daran ändert der Umstand, dass die Entgeltumwandlungsvereinbarung erst nach Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses getroffen wurde, jedenfalls vorliegend deshalb nichts, weil die Streitverkündete mit der mit der Beklagten getroffenen Entgeltumwandlungsvereinbarung von ihrem Recht aus § 1a Abs. 1 Satz 1 BetrAVG* auf betriebliche Altersversorgung durch Entgeltumwandlung Gebrauch gemacht hat und der in § 1a Abs. 1 Satz 1 BetrAVG vorgesehene Betrag nicht überschritten wurde. Bei einer an § 1a Abs. 1 Satz 1 BetrAVG orientierten normativen Betrachtung stellt die von der Streitverkündeten mit der Beklagten getroffene Entgeltumwandlungsvereinbarung keine den Kläger als Gläubiger benachteiligende Verfügung iSv. § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO dar. In einem solchen Fall scheidet zudem ein Rückgriff auf § 850h ZPO aus. Ob eine andere Bewertung dann geboten ist, wenn – anders als hier – ein höherer Betrag als der in § 1a Abs. 1 Satz 1 BetrAVG vorgesehene umgewandelt wird, musste der Senat nicht entscheiden.

Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/pfaendbares-arbeitseinkommen-isv-%c2%a7-850-abs-2-zpo-entgeltumwandlung-nach-pfaendungs-und-ueberweisungsbeschluss/

II.
Anspruch der Gewerkschaft gegen den Arbeitgeber auf Durchführung eines Haustarifvertrags
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Oktober 2021, Az. 4 AZR 403/20

Einer Gewerkschaft steht gegen einen Arbeitgeber ein schuldrechtlicher Anspruch auf Durchführung eines zwischen ihnen geschlossenen Haustarifvertrags zu. Der Durchführungsanspruch kann durch Leistungsklage geltend gemacht werden und ist auf die bei dem Arbeitgeber beschäftigten Mitglieder der Gewerkschaft begrenzt. Dem kann im Klageantrag durch eine abstrakte Beschränkung auf „die Mitglieder“ Rechnung getragen werden, deren namentliche Nennung ist nicht erforderlich.

Der Kläger ist eine bei dem Beklagten – einer Landesrundfunkanstalt – vertretene Gewerkschaft. Die Parteien haben mehrere Haustarifverträge, ua. über die Vergütung arbeitnehmerähnlicher Personen nach sog. Honorarrahmen im Bereich Fernsehen und Hörfunk, geschlossen. Seit Dezember 2016 vergütet der Beklagte bei ihm als „pauschalierte Tagesreporter“ tätige arbeitnehmerähnliche Personen nicht mehr nach speziellen sog. Honorarkennziffern, sondern nach Tagespauschalen, die in den Honorarrahmen unter der Überschrift „sonstige Mitarbeit“ vorgesehen sind. Der Kläger hat dies für tarifwidrig gehalten. Mit seiner Klage hat er die Durchführung der Tarifverträge durch Anwendung der von ihm als zutreffend angesehenen Honorarkennziffern gegenüber allen arbeitnehmerähnlichen Personen, hilfsweise gegenüber seinen Mitgliedern verlangt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage insgesamt als unzulässig angesehen.

Die aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde zugelassene Revision hatte vor dem Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts teilweise Erfolg. Der Beklagte hat gegen seine tarifliche Durchführungspflicht gegenüber der klagenden Gewerkschaft verstoßen. Die Vergütung der Tagesreporter hat vorrangig nach den speziellen Honorarkennziffern zu erfolgen. Für die Zulässigkeit des auf die Gewerkschaftsmitglieder begrenzten Klageantrags war es entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht erforderlich, diese bereits im Erkenntnisverfahren namentlich zu benennen. Der Anspruch auf Durchführung des Tarifvertrags ist allerdings auf die tarifgebundenen Beschäftigten beschränkt. Soweit die klagende Gewerkschaft eine Durchführung auch gegenüber den nicht tarifgebundenen arbeitnehmerähnlichen Personen verlangt hat, war die Klage unbegründet und die Revision daher zurückzuweisen.

Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/anspruch-der-gewerkschaft-gegen-den-arbeitgeber-auf-durchfuehrung-eines-haustarifvertrags/

III.
Betriebsrisiko und Lockdown
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Oktober 2021, Az. 5 AZR 211/21

Muss der Arbeitgeber seinen Betrieb aufgrund eines staatlich verfügten allgemeinen „Lockdowns“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorübergehend schließen, trägt er nicht das Risiko des Arbeitsausfalls und ist nicht verpflichtet, den Beschäftigten Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu zahlen.

Die Beklagte betreibt einen Handel mit Nähmaschinen und Zubehör und unterhält in Bremen eine Filiale. Dort ist die Klägerin seit Oktober 2019 als geringfügig Beschäftigte gegen eine monatliche Vergütung von 432,00 Euro im Verkauf tätig. Im April 2020 war das Ladengeschäft aufgrund der „Allgemeinverfügung über das Verbot von Veranstaltungen, Zusammenkünften und der Öffnung bestimmter Betriebe zur Eindämmung des Coronavirus“ der Freien Hansestadt Bremen vom 23. März 2020 geschlossen. Deshalb konnte die Klägerin nicht arbeiten und erhielt auch keine Vergütung. Mit ihrer Klage hat sie die Zahlung ihres Entgelts für den Monat April 2020 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs begehrt. Sie hat gemeint, die Schließung des Betriebs aufgrund behördlicher Anordnung sei ein Fall des von der Beklagten als Arbeitgeberin zu tragenden Betriebsrisikos. Dagegen hat die Beklagte Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die von der Freien Hansestadt Bremen zur Pandemiebekämpfung angeordneten Maßnahmen beträfen das allgemeine Lebensrisiko, das nicht beherrschbar und von allen gleichermaßen zu tragen sei.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Klägerin hat für den Monat April 2020, in dem ihre Arbeitsleistung und deren Annahme durch die Beklagte aufgrund der behördlich angeordneten Betriebsschließung unmöglich war, keinen Anspruch auf Entgeltzahlung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs. Der Arbeitgeber trägt auch nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn – wie hier – zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen durch behördliche Anordnung in einem Bundesland die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden. In einem solchen Fall realisiert sich nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes Betriebsrisiko. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage. Es ist Sache des Staates, gegebenenfalls für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile – wie es zum Teil mit dem erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld erfolgt ist – zu sorgen. Soweit ein solcher – wie bei der Klägerin als geringfügig Beschäftigter – nicht gewährleistet ist, beruht dies auf Lücken in dem sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem. Aus dem Fehlen nachgelagerter Ansprüche lässt sich jedoch keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herleiten.

Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/betriebsrisiko-und-lockdown/

IV.
Eine zusätzlich gezahlte Abfindung bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, die nach Wahrnehmung einer sog. „Sprinterklausel“ gezahlt wird, ist ermäßigt zu besteuern
Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 31.05.2021, Az. 10 K 1597/20

(Leitsatz der Redaktion)

Siehe:
https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE210001212

V.
Keine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten durch die Regelung von Mehrarbeit und Überstunden im TVöD-K
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. Oktober 2021, Az. 6 AZR 253/19

Die für den Dienstleistungsbereich Krankenhäuser im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände maßgebliche Fassung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD-K) enthält für den Freizeitausgleich und die Vergütung von Stunden, die Teilzeitbeschäftigte ungeplant über ihre vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus erbringen, eigenständige Regelungen, die sich so sehr von den Regelungen zum Entstehen, dem Ausgleich und der Vergütung von Überstunden bei Vollbeschäftigten unterscheiden, dass keine Vergleichbarkeit mehr gegeben ist. Mit dieser Differenzierung haben die Tarifvertragsparteien ihren durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Deshalb diskriminieren die für Teilzeitbeschäftigte geltenden Regelungen diese nicht und sind wirksam. Die sowohl für Voll- als auch Teilzeitbeschäftigte maßgebliche Sonderregelung in § 7 Abs. 8 Buchst. c TVöD-K zur Entstehung von Überstunden bei Beschäftigten, die Wechselschicht- oder Schichtarbeit leisten, verstößt jedoch gegen das Gebot der Normklarheit und ist deshalb unwirksam.

Die Klägerin ist seit 1999 bei der beklagten Klinikbetreiberin als Pflegekraft in Teilzeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 32 Stunden beschäftigt. Sie leistet Wechselschicht- bzw. Schichtarbeit, die nach einem für den Monat geltenden Dienstplan erbracht wird. Aufgrund beiderseitiger Tarifbindung gelten die Regelungen eines Haustarifvertrages vom 19. Januar 2017, der seinerseits für die Vergütung von Überstunden und Mehrarbeit den TVöD-K in seiner zu diesem Zeitpunkt gültigen Fassung in Bezug nimmt. Die Klägerin leistete im Zeitraum Januar bis Juni 2017 sowohl über ihre vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus im Dienstplan vorgesehene (geplante) Arbeitsstunden, als auch im Dienstplan nicht vorgesehene (ungeplante) Arbeitsstunden, ohne dabei jedoch die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von Vollbeschäftigten zu überschreiten. Die Beklagte vergütete diese Arbeitsstunden mit dem anteiligen tariflichen Tabellenentgelt. Die Klägerin beansprucht darüber hinaus Überstundenzuschläge auf der Grundlage der § 7 Abs. 8 Buchst. c, § 8 Abs. 1 Sätze 1, 2 Buchst. a TVöD-K. Sie meint, diese stünden ihr hinsichtlich der ungeplanten Arbeitsstunden auch dann zu, wenn sie ihre vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit nicht überschreite. Bei den geplanten Arbeitsstunden komme es auf eine Überschreitung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten nicht an. Andernfalls werde sie als Teilzeitbeschäftigte nach nationalem Recht und nach Unionsrecht gegenüber Vollbeschäftigten diskriminiert.

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Wegen der Unwirksamkeit des § 7 Abs. 8 Buchst. c TVöD-K ist für sie allein die Regelung zur Mehrarbeit in § 7 Abs. 6 TVöD-K maßgeblich. Diese Bestimmung sieht keine Zahlung von Überstundenzuschlägen für die von der Klägerin zusätzlich geleisteten Stunden, mit der sie ihre vertragliche Arbeitszeit, aber noch nicht die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von Vollbeschäftigen überschritt, vor. Anspruch auf den in § 7 Abs. 7 iVm. § 8 Abs. 1 Sätze 1 und 2 TVöD-K vorgesehenen Überstundenzuschlag hat sie deshalb nicht. Diese Differenzierung zwischen den Gruppen der Voll- und der Teilzeitbeschäftigten ist wirksam, weil für sie völlig unterschiedliche Regelungssysteme des TVöD-K in Bezug auf das Entstehen und den Ausgleich von Mehrarbeit und Überstunden gelten.

Der Senat hält an seiner bisherigen, ausschließlich auf den nicht gezahlten Überstundenzuschlag gerichteten Rechtsprechung (BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 -) ebenso wenig fest wie an dem in dieser Entscheidung sowie in der Entscheidung vom 25. April 2013 (- 6 AZR 800/11 -) gefundenen Auslegungsergebnis des Überstundenbegriffs des § 7 Abs. 8 Buchst. c TVöD-K im Falle von Wechselschicht- oder Schichtarbeit. Die danach erforderliche Differenzierung zwischen geplanten und ungeplanten Überstunden weicht von der nach § 7 Abs. 7 TVöD-K geltenden Grundregel, nach der nur ungeplante zusätzliche Stunden Überstunden werden können, ab, ohne dass ein solcher Regelungswille der Tarifvertragsparteien im Normtext ausreichend Niederschlag gefunden hat. § 7 Abs. 8 Buchst. c TVöD-K kann auch kein anderer objektiver Normbefehl entnommen werden.

Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/keine-diskriminierung-von-teilzeitbeschaeftigten-durch-die-regelung-von-mehrarbeit-und-ueberstunden-im-tvoed-k/

VI.
Fortbestand des Urlaubs bei Beschäftigungsverboten nach dem MuSchG oder bei Elternzeit - Kürzung des Urlaubsanspruchs für Elternzeit – Urlaubsabgeltung
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16.9.2021, Az. 4 Sa 62/20

1. Das Fristenregime der §§ 24 Satz 2 MuSchG und 17 Abs. 2 BEEG geht § 7 Abs. 3 BUrlG vor (Anschluss an BAG 19. März 2019 - 9 AZR 495/17 -).

2. Die Anpassung des Urlaubsanspruchs nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG an die durch die Elternzeit ausgesetzte Arbeitspflicht (Kürzungsrecht) bedarf einer rechtsgeschäftlichen Erklärung des Arbeitgebers, die dem/der Arbeitnehmer/in noch während des Bestands des Arbeitsverhältnisses zugehen muss (Anschluss an BAG 19. März 2019 - 9 AZR 495/17 -).

3. Die rechtsgeschäftliche Erklärung kann im Einzelfall auch in der Übersendung einer abschließenden Entgeltabrechnung liegen, die den Urlaubsanspruch in Abweichung zu vorangegangenen und dem/der Arbeitnehmer/in zugegangenen Abrechnungen mit "Null" ausweist.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2021&nr=35869&pos=0&anz=32

VII.
Nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage - Ausgangskontrolle bei Klageerhebung über das beA
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 1.9.2021, Az. 4 Sa 63/20

1. Es gehört zu den Pflichten eines Rechtsanwalts, durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz innerhalb der Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Bei einer Übersendung solcher Schriftsätze über das beA hat stets eine Ausgangskontrolle dergestalt stattzufinden, dass der Versandvorgang über die automatisierte Eingangsbestätigung des Gerichts gem. § 46c Abs. 5 Satz 2 ArbGG (entspricht § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO) überprüft wird.

2. Eine Ausgangskontrolle durch telefonische Rücksprache bei Gericht ist einer Überprüfung anhand der elektronischen Eingangsbestätigung nicht gleichwertig. Dies gilt jedenfalls dann, wenn am selben Tag mehrere Schriftsätze in derselben Rechtssache eingereicht wurden.

3. Außerdem Einzelfallentscheidung zu den Sorgfaltsanforderungen an die Ausgangskontrolle im Zusammenhang mit der Führung des Fristenkalenders.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2021&nr=35896&pos=1&anz=32

VIII.
Allgemeine Geschäftsbedingungen - arbeitsvertragliche Urlaubsabgeltung - Verfallfrist - Transparenzkontrolle - anerkannte Ansprüche
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24.8.2021, Az. 19 Sa 7/21

Eine allgemeine Geschäftsbedingung in einem Arbeitsvertrag, die eine Verfallfrist/Ausschlussfrist zum Gegenstand hat, ist nicht deshalb intransparent nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und unwirksam, weil sie Ansprüche aus ihrem Anwendungsbereich nicht ausdrücklich ausnimmt, deren Erfüllung der Arbeitgeber zugesagt oder die er anerkannt oder streitlos gestellt hat. Ohne weitere Anhaltspunkte im Wortlaut ist die Klausel nicht irreführend hinsichtlich der wahren Rechtslage und suggeriert dem verständigen Arbeitnehmer auch nicht, er müsse den Anspruch auch in den genannten Fällen geltend machen (Abgrenzung zu BAG 3. Dezember 2019 - 9 AZR 44/19 -).

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2021&nr=35863&pos=2&anz=32

IX.
Nachtarbeitszuschlag für Schichtarbeit - Gleichbehandlung - Zuschlagshöhe - Differenzierung - Nachtarbeit - Nachtschichtarbeit - Tarifauslegung – Süßwarenindustrie
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23.8.2021, 9 Sa 2/20

1. Die in § 4 II. Nr. 1 Buchst. b des Bundesmanteltarifvertrags für die Süßwarenindustrie vom 14. Mai 2007 (BMTV) enthaltene Differenzierung zwischen den Zuschlägen für Nachtarbeit und für Nachtschichtarbeit verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Zuschläge für Nachtarbeit sind gegenüber den Zuschlägen für Nachtschichtarbeit bei Berücksichtigung aller maßgeblichen Ausgleichsregelungen annähernd doppelt so hoch. Beide Arbeitnehmergruppen sind vergleichbar. Dem BMTV ist kein Sachgrund für die Differenzierung zwischen den Zuschlägen für Nachtarbeit und für Nachtschichtarbeit zu entnehmen.

2. Die nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbarende Ungleichbehandlung des Klägers, der für Schichtarbeit im Zeitraum von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr lediglich den Zuschlag von 15% erhält, kann nur durch eine Anpassung "nach oben" beseitigt werden. Die Anpassung "nach oben" hat sich an der günstigeren Regelung zu orientieren. Diese Norm enthält das einzig verbleibende gültige Bezugssystem.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2021&nr=35884&pos=3&anz=32


X.
Amtszeit, Schwerbehindertenvertretung, Ende, Absinken unter den Schwellenwert
Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 31.8.2021, Az. 4 TaBV 19/21

Die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung endet, wenn der Schwellenwert gemäß § 177 Abs. 1 SGB IX unterschritten wird. Der für den Betriebsrat geltende Grundsatz, nach dem beim Absinken unter den Schwellenwert die Amtszeit endet, ist auf die Schwerbehindertenvertretung übertragbar.

Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2021/4_TaBV_19_21_Beschluss_20210831.html

XI.
Kündigung, verhaltensbedingt, Verspätungen, Justizangestellte beim Gericht, Abmahnung, Erforderlichkeit
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 31.08.2021, Az. 1 Sa 70 öD/21

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Rechtmäßigkeit einer fristgemäßen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin.

Siehe:
https://www.sit.de/lagsh/ehome.nsf/855426E6753B3765C12587650032197F/$file/Urteil-1-Sa-70%20%C3%B6D-21-31-08-2021.pdf

XII.
Streitwert - Addition - Kündigungsschutzantrag - (Hilfs-)Antrags auf Nachteilsausgleich
LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.09.2021, Az. 26 Ta (Kost) 6181/21

1. Bei dem Begriff des Gegenstands in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG handelt es sich um einen selbständigen kostenrechtlichen Begriff, der eine wirtschaftliche Betrachtung erfordert.

Eine Zusammenrechnung hat dort zu erfolgen, wo eine wirtschaftliche Werthäufung entsteht und nicht ein wirtschaftlich identisches Interesse betroffen ist.

Wirtschaftliche Identität liegt vor, wenn die in ein Eventualverhältnis gestellten Ansprüche nicht in der Weise nebeneinander bestehen können, dass - die vom Kläger gesetzte Bedingung fortgedacht - allen stattgegeben werden könnte, sondern dass die Verurteilung gemäß dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zöge (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 14. Dezember 2018 - 17 Ta (Kost) 6105/18 und 26 Ta (Kost) 6136/18; BGH 12. September 2013 - I ZR 61/11, Rn. 6).(Rn.14)

2. Der Kündigungsschutzantrag und der (Hilfs-)Antrag auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs können nicht nebeneinander bestehen; wird der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses festgestellt, besteht kein Anspruch auf Nachteilsausgleich. Es besteht kostenrechtlich ein wirtschaftlich identisches Interesse.(Rn.15)

3. Daran halten die Kostenkammern des Landesarbeitsgerichts fest.
Soweit die Beschwerde die Entscheidung des BAG vom 25. März 2021 (2 AZR 508/19, Rn. 23) für ihre Rechtsauffassung nutzbar machen möchte, steht dem bereits die Begründung des Bundesarbeitsgerichts entgegen.

Daraus ergibt sich erkennbar, dass das Bundesarbeitsgericht andere als die im Kostenrecht maßgebenden Gesichtspunkte zugrunde gelegt hat. Solche waren für die Entscheidung auch nicht relevant.(Rn.16)

Siehe:
10.09.2021LArbG Berlin-Brandenburg 26. Kammer26 Ta (Kost) 6181/21BeschlussWeiterhin keine Zusammenrechnung des Wertes eines Kündigungsschutzantrags mit dem des (Hilfs-)Antrags auf NachteilsausgleichTreffer-Vorschau:… nicht, haben sich die Kostenkammern des Landesarbeitsgerichts der Auffassung angeschlossen, nach …Treffer-Vorschau:… Daran halten die Kostenkammern des Landesarbeitsgerichts fest. …


XIII.
Keine Erstattung einer Gebühr nach Nr. 3201 VV RVG ungeachtet einer Bestellungsanzeige und eines Zurückweisungsantrags - Verstoß gegen das Kostenschonungsgebot
LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.09.2021, Az. 26 Ta (Kost) 6166/21

1. Bei der Frage, ob aus Anlass oder im Rahmen eines Berufungsverfahrens aufgrund einer Tätigkeit des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten nach Zugang des erstinstanzlichen Urteils Gebühren angefallen sind, ist zunächst danach zu unterscheiden, ob die ausgeführte Tätigkeit noch zum erstinstanzlichen Verfahren gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist oder eine sonstige Einzeltätigkeit darstellt, die eine gesonderte Verfahrensgebühr auslöst.(Rn.12)

2. Ein Antrag auf Zurückweisung der Berufung ist im Sinne des Gebührenrechts als Sachantrag anzusehen, sodass dem zum Prozessbevollmächtigten bestellten Rechtsanwalt des Rechtsmittelbeklagten, der einen Schriftsatz mit diesem Inhalt bei Gericht eingereicht hat, grundsätzlich die volle Prozessgebühr zusteht (vgl. BAG 16. Juli 2003 - 2 AZB 50/02, Rn. 12). Davon zu unterscheiden ist die Frage der Erstattungsfähigkeit.(Rn.27)

3. Von der grundsätzlichen Anerkennung der Notwendigkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts nach Einlegung einer Berufung durch die Gegenseite ist die Frage zu unterscheiden, welche Maßnahmen der Rechtsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung/Rechtsverteidigung für erforderlich halten darf.(Rn.21)

4. Durch § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO wird nur die Beauftragung eines Rechtsanwalts der Überprüfung entzogen, ob sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig ist, nicht auch die einzelne veranlasste Maßnahme (vgl. BAG 18. November 2015 - 10 AZB 43/15, Rn. 22, str., zum Streitstand: BGH 7. Februar 2018 - XII ZB 112/17, Rn. 18).(Rn.19)

5. Das steht nicht im Widerspruch dazu, dass die Kosten eines beauftragten Rechtsanwalts von der Rechtsprechung allein deshalb als erstattungsfähig anerkannt werden, weil der Rechtsmittelgegner anwaltlichen Rat in einer von ihm als risikohaft empfundenen Situation für erforderlich halten darf (vgl. BGH 19. September 2013 - IX ZB 160/11, Rn. 7; 17. Dezember 2002 - X ZB 9/02; 3. Juli 2007 - VI ZB 21/06; 6. Dezember 2007 - IX ZB 223/06, Rn. 10). Dieser Gesichtspunkt sagt als solcher noch nichts darüber aus, in welchem Umfang der Rat als zweckentsprechend angesehen werden kann, um die Kostenerstattungspflicht auszulösen (vgl. BGH 15. Oktober 2013 - XI ZB 2/13, Rn. 16 f.).(Rn.22)

6. Eine Erstattung der Anwaltsgebühren kann dann nicht verlangt werden, wenn für die konkrete Tätigkeit des Anwalts kein Anlass bestand (vgl. BAG 18. April 2012 - 3 AZB 22/11, Rn. 10)(Rn.21), insbesondere dann, wenn die Maßnahme offensichtlich nutzlos war (vgl. BGH 15. Oktober 2013 - XI ZB 2/13, Rn. 16).(Rn.22)

7. Es ist nicht ersichtlich, welche Prozessförderung von einem Antrag auf Zurückweisung der Berufung ausgehen kann, solange mangels einer Berufungsbegründung eine sachgerechte Prüfung des Rechtsmittels nicht möglich ist (vgl. BAG 16. Juli 2003 - 2 AZB 50/02, Rn. 15).(Rn.28)

8. Eine Bestellungsanzeige kann das Verfahren nicht fördern, wenn die Prozessbevollmächtigten aufgrund ihrer Vertretung im Berufungsverfahren ohnehin als Bevollmächtigte im Verfahren der Berufung zu behandeln sind (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 15. Oktober 2019 - 17 Ta (Kost) 6079/19, zu II 2 b bb der Gründe).(Rn.25)

Siehe:
08.09.2021LArbG Berlin-Brandenburg 26. Kammer26 Ta (Kost) 6166/21BeschlussKeine Erstattung einer Gebühr nach Nr. 3201 VV RVG ungeachtet einer Bestellungsanzeige und eines Zurückweisungsantrags - Verstoß gegen das Kostenschonungsgebot§ 91 Abs 2 S 1 Halbs 1 ZPO, Nr 3100 RVG-VV, Nr 3201 RVG-VVTreffer-Vorschau:… worden. Noch am selben Tag ist bei dem Landesarbeitsgericht durch die erstinstanzlichen …Treffer-Vorschau:… November 2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag nahm die Beklagte die Berufung zurück. …

XIV.
Vergleichsmehrwert bei Beendigungsvergleich im Rahmen einer Auskunftsklage
LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.09.2021, Az. 26 Ta (Kost) 6178/21

Einigen sich die Parteien anlässlich einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung (hier: Auskunftsklage) auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses, kann das einen Vergleichsmehrwert von einem Vierteljahresverdienst rechtfertigen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 21. Januar 2020 - 26 Ta (Kost) 6110/19 [Beendigungsvergleich nach Beschäftigungsklage]; LAG Hamburg 27. April 2021 - 4 Ta 5/21, Rn. 22 [Beendigungsvergleich nach außergerichtlicher Auseinandersetzung über Beendigung des Arbeitsverhältnisses]; so auch Nr. 25.1.2 des Streitwertkatalogs [Beendigungsvergleich nach Abmahnungsrechtsstreit/Streit über eine Versetzung]).(Rn.10)

Siehe:
03.09.2021LArbG Berlin-Brandenburg 26. Kammer26 Ta (Kost) 6178/21BeschlussVergleichsmehrwert bei Beendigungsvergleich im Rahmen einer AuskunftsklageNr 1000 Abs 1 RVG-VV, § 33 RVG

XV.
Untersagung eines Streiks
ArbG Berlin, Urteil vom 24.08.2021, Az. 36 Ga 8475/21

Ein Streik kann durch einstweilige Verfügung nur dann untersagt werden, wenn er offensichtlich rechtswidrig ist.(Rn.27)

Siehe:
24.08.2021ArbG Berlin 36. Kammer36 Ga 8475/21UrteilUntersagung Streik - Warnstreik - Friedenspflicht - Tarifvertrag Entlastung - TVöD-K - Notdienstvereinbarung - einstweilige Verfügung - rechtswidriger ArbeitskampfTreffer-Vorschau:… vgl. Landesarbeitsgericht (nachfolgend: …

Mit besten Grüßen
Ihr

Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
VDAA – Präsident

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